Bewegung im Kindergarten
Ein privat finanziertes Pilotprojekt in Harsum zeigt, wie mehr Sport und Bewegung in den Kindergarten gebracht werden können. Ziel ist ein „Zertifizierter Bewegungskindergarten“ – ein Modell, das Schule machen soll.

Da-Be-Sia bringt mehr Bewegung in Kindergarten
Pilotprojekt des Vereins Olympia 2004 startet bei St. Vincenz in Harsum.
Harsum (ak). Die Idee ist so sinnvoll und einfach, dass man sich fragen muss, warum sie erst jetzt in die Tat umgesetzt wird. Es geht um einen „Zertifizierten Bewegungskindergarten“ – was sich komplizierter anhört, als es ist.

„Wir haben eine soziale Verantwortung für die Kinder und geben Hilfe zur Selbsthilfe.“ Claudia Leyder, Vorsitzende des Vereins Olympia 2004, spricht über das neueste Konzept ihres Vereins. Es soll mehr Bewegung, mehr Sport, Spiel und Spaß in die Kindertagesstätten bringen. Worauf sie besonders stolz ist: Das Projekt läuft mit finanzieller Unterstützung von Sponsoren und braucht damit keinerlei Gelder aus der öffentlichen Hand. Das ist auch gut so, schließlich sind die Kassen bekanntlich alles andere als gut gefüllt.

Ein ganz normaler Mittwochvormittag im Harsumer St.-Vincenz-Kindergarten der katholischen St.-Cäcilia-Kirchengemeinde. Dutzende Mädchen und Jungen tummeln sich auf dem Außengelände, spielen Ball oder Fangen, fahren mit kleinen Dreirädern umher, toben herum. Kinderlachen mischt sich unter das Stimmengewirr. Das ist hier tagtäglich so – heute ein bisschen anders. Denn Reinhard Fischer zeigt, wie er dort das Pilotprojekt starten will. Der Erzieher mit sportspezifischer Zusatzausbildung ruft die Kinder zusammen. An seiner Hand balancieren die Kleinen über die Holzstämme eines Kletterschiffes. Dann ist Mut und Koordination gefragt. Denn die Kinder sollen aus geringer Höhe in den Sand springen – und dabei im Flug Fischers Hand abklatschen. Die Kids sind mit Feuereifer dabei, stellen sich gleich wieder hinten in der Reihe an.

Was da in Harsum anläuft, soll vielleicht einmal in möglichst vielen Kindergärten gang und gäbe sein. Das Konzept trägt den Namen „Da-Be-Sia“, abgeleitet vom olympischen Gedanken „Dabeisein ist alles“. Ziel ist die qualifizierte Bewegungs- und Gesundheits-Kindertagesstätte. Der Verein Olympia 2004 hat Nägel mit Köpfen gemacht und den Kreissportbund, den Landkreis, die Stadt und das Gesundheitsamt Hildesheim mit ins Boot geholt. Claudia Leyder: „Damit es richtig klappt, müssen die fachlichen Ebenen gebündelt werden.“ Regelmäßige Elternabende sind ebenso eingeplant wie die Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte und eine intensive Zusammenarbeit mit dem örtlichen Sportverein.

Der Hintergrund ist schnell erklärt. Heute bewegen sich Kinder viel weniger als früher. Dabei ist Bewegung zwingend notwendig für eine optimale Entwicklung, für ein gesundes, erfolgreiches und glückliches Leben. So kommt es zu einer Vielzahl von Verhaltens-, Gesundheits- und Bewegungsauffälligkeiten. Genau dem will die Privatinitiative entgegen wirken, und das jeweils unter Berücksichtigung der örtlichen, finanziellen und personellen Gegebenheiten.

Ulrike Just, Leiterin des St.-Vincenz-Kindergartens: „Wir wissen schon lange, dass das eine ganz wichtige Angelegenheit ist.“ Das moderne, sieben Jahre alte Gebäude verfügt zwar über den vorgeschriebenen Bewegungsraum. Doch erst jetzt befasst sich das Team intensiver mit dem Thema Bewegung drinnen und draußen. Reinhard Fischer kommt zunächst für ein Jahr regelmäßig vorbei. Später sollen die Erzieherinnen selbstständig weitermachen. Dabei wäre auch eine Kooperation und kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem MTV Harsum von Vorteil. Das könnte sich auch für den Verein lohnen. Nämlich dann, wenn er dadurch mehr Mitglieder bekäme.

Auch Landrätin Ingrid Baule begrüßt die Aktion: „Wir stehen voll dahinter. Zahlen aus den Untersuchungen der Erstklässler machten mich darauf aufmerksam, wie wichtig die Gesundheitsvorsorge und die frühzeitige Bewegung schon im Kindergarten sind. Man muss Stärken stärken.“ Ihr Jugendamtsleiter Hubert Kleeberg ergänzt: „Sport ist ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung und Wahrnehmung. Prävention muss nicht erst mit 14 Jahren beginnen.“

Das Pilotprojekt in Harsum wird von Claudia Leyders Rehazentrum Qui Si Sana (Hildesheim) und der Gmünder Ersatzkasse (GEK) gesponsert. Holger Schernewski, selbst Fußballer beim SC Harsum, arbeitet in der GEK-Kundenbetreuung in Hildesheim. Er hat einen Scheck über 1000 Euro mitgebracht und nennt eine langfristige Motivation: „Man sät jetzt, fährt die Ernte aber erst in zehn bis fünfzehn Jahren ein.“

Man mag es kaum glauben, aber die Aktion ist eher durch Zufall ins Rollen gekommen. Die Wahl fiel auf Harsum, weil Claudia Leyer dort selbst ihre Zwillinge Ferdinand und Konstantin untergebracht hat – und sie auch im gesamten Umfeld ideale Startbedingungen sieht. Vor zwei Monaten wurden erste Gespräche aufgenommen.

Nun hoffen die Initiatoren auch auf eine Art Domino-Effekt. Schließlich könnte ein selbstfinanzierter Qualifikationsprozess mit gleichzeitigem Imagegewinn in Gang kommen, der den beteiligten Kindergärten einen Wettbewerbsvorteil ermöglicht. So hätten schließlich alle Beteiligten etwas davon – am meisten natürlich die Kinder.

(c) Archiv Hildesheimer Allgemeine Zeitung